Indien: Entwicklung auf Kosten des Klimas

Indien: Entwicklung auf Kosten des Klimas

Berlin –

Indien: Entwicklung auf Kosten des Klimas

Der künftige Beitrag Chinas und Indiens zum globalen Klimaschutz ist umstritten. Doch schon heute zeichnet sich ab: Bis 2030 wird Indien zum drittgrößten CO2-Emittenten aufsteigen. Schon ein Abbremsen dieses Anstiegs dürfte zum Kraftakt werden, folgern die Autoren einer neuen Studie des DIW Berlin.

Strukturelle Schwächen des Stromsektors

Bei der Energieversorgung weist Indien einen massiven Rückstand gegenüber den westlichen Industrienationen auf. Rund die Hälfte der ländlichen Haushalte hat keinen Stromanschluss. Die Internationale Energie-Agentur rechnet zwar bis 2030 mit einer Verdoppelung der Nachfrage, aber die Reformen kommen nur schleppend voran. „Dafür sind enorme Strukturschwächen des Energiesektors verantwortlich“, meint DIW-Energieexperte Dr. Christian von Hirschhausen. Die Stromversorgung ist von staatlichen Unternehmen dominiert, die an einem Übermaß an Bürokratie, Ineffizienz und Übertragungsverlusten leiden. Subventionierte Strompreise setzen Anreize zur Nutzung veralteter Technologie und überhöhtem Stromverbrauch.

Kohle ist der wichtigste Energieträger

Auch wenn erneuerbare Energien zunehmend an Relevanz gewinnen, bleibt ihr Anteil an der Elektrizitätserzeugung gering und konzentriert sich auf bestehende Wasserkraftwerke. Kohle ist die einzig bedeutsame einheimische Energieressource: Mit geschätzten 56 Milliarden Tonnen – einer Reichweite von weit über 100 Jahren – verfügt Indien weltweit über die fünftgrößten Reserven. Doch die Produktion der staatlichen Minen liegt weit unter internationalen Standards, was sich in minderer Kohlequalität sowie einer geringen Produktivität ausdrückt.

Indien entwickelt sich zum drittgrößten CO2-Emittenten

„Es zeichnet sich schon heute ab, dass die stark wachsende Nachfrage nicht mehr mit der eigenen Produktion gedeckt werden kann“, so Franziska Holz vom DIW Berlin. Trotzdem will Indien seinen hohen Strombedarf auch künftig durch Kohlekraftwerke decken. Trotz Reformstaus geht derzeit ca. ein neues Kohlekraftwerk pro Monat ans Netz. Mit voraussichtlich 3,3 Milliarden Tonnen CO2-Ausstoß im Jahr 2030 – gegenüber 1,15 Milliarden Tonnen im Jahr 2005 – ist Indien auf dem Weg, zum drittgrößten Emittenten nach China und den USA zu avancieren.

„Kohlenstoffgerechtigkeit“ statt Emissionsminderung

„Indien bewegt sich zurzeit auf einem Entwicklungspfad, der den globalen Zielen nachhaltiger Energieerzeugung und Verminderung des CO2-Ausstoßes zuwiderläuft“, so die Autoren der Studie. Seine jährlichen Pro-Kopf-Emissionen liegen allerdings mit etwa 1,6 Tonnen weit niedriger als die der USA (24 t) und der EU (10 t) und deutlich unter dem Welt-Durchschnitt (4 t). „Die ‚historische Verantwortung‘ für die Minderung der CO2-Emissionen sieht Indien bei den Industriestaaten. Daher lehnt das Land Beschränkungen für sich selbst ab und fordert sie von den westlichen Ländern“, so Clemens Haftendorn vom DIW Berlin. „Langfristig muss sich Indien aber selbst Klimaziele setzen – auch weil die Folgen des Klimawandels die Armutsbekämpfung in Indien erschweren.“

Die Rolle der westlichen Industriestaaten

Indien betont die Notwendigkeit internationaler Unterstützung – finanzieller und technologischer Art. Bei der Welt-Klimakonferenz 2007 auf Bali konnte das Land zudem durchsetzen, dass das nächste Klimaschutz-Regime Emissionsminderungen nur für die entwickelten Staaten, nicht aber für die Entwicklungsländer beinhaltet. Die Autoren der DIW-Studie sprechen sich dafür aus, mit finanziellen Kompensationen den Beitritt Indiens zu einem globalen Klimaabkommen zu fördern. Im Rahmen der bilateralen und multilateralen Zusammenarbeit solle stärkere technische Unterstützung beim Übergang auf einen klimafreundlichen Entwicklungspfad geleistet werden. Für Klimaverhandlungen sei zudem wichtig, dass die westlichen Länder ihre Position glaubhaft vertreten, indem sie eigene Klimaziele tatsächlich umsetzten.

Indien: Entwicklung auf Kosten des Klimas. Von Clemens Haftendorn, Karen Freund, Christian von Hirschhausen, und Franziska Holz. In: Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 51-52/2008.

Außerdem im Wochenbericht:
Großer Sprung im zweiten Anlauf: 30 Jahre Wirtschaftsreformen in China. Alfred Steinherr.
Agenda für eine neue Finanzmarktarchitektur. Dorothea Schäfer.
„Die Landesbanken haben auf der internationalen Bühne nichts verloren“. Sieben Fragen an Dorothea Schäfer.
Weiterbildung in der Krise. Kommentar von Klaus F. Zimmermann.
Zum Wochenbericht (PDF): http://www.diw.de/documents/publikationen/73/92719/08-51-1.pdf

Sabrina Ortmann
Pressestelle
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)
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