Einheitliches, europäisches Konzept für die gesundheitliche Bewertung von Mehrfachrückständen…
Einheitliches, europäisches Konzept für die gesundheitliche Bewertung von Mehrfachrückständen…
Bonn –
Einheitliches, europäisches Konzept für die gesundheitliche Bewertung von Mehrfachrückständen bei Pflanzenschutzmitteln
Wird in oder auf einem Lebensmittel gleichzeitig mehr als ein Pflanzenschutzmittelwirkstoff nachgewiesen, spricht man von „Mehrfachrückständen“. Sie können entstehen, wenn Pflan-zen mit mehreren Pflanzenschutzmitteln gegen verschiedene Schadorganismen behandelt werden. Pflanzenschutzmittelwirkstoffe unterscheiden sich nach ihrem Einsatz. So werden Herbizide gegen Unkraut eingesetzt, Fungizide gegen Pilze, Insektizide gegen Insekten.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach der gesundheitlichen Bewertung solcher Mehrfachrückstände. Tierexperimentelle Studien mit Mischungen verschiedener chemischer Stoffe haben gezeigt, dass toxische Effekte durch Kombinationswirkungen erst bei Dosie-rungen im Bereich oder oberhalb des NOAEL der Einzelsubstanzen nachweisbar sind. Als NOAEL (No Observed Adverse Effect Level) bezeichnet man die Menge einer Einzelsub-stanz, die im Tierversuch keine schädliche Wirkung mehr zeigt. Wenn die Dosierungen der einzelnen Substanzen deutlich unterhalb des NOAEL liegen, ist nicht mit toxischen Effekten durch additive oder synergistische Wirkungen zu rechnen. Dies trifft grundsätzlich auch für Wirkstoffe zu, die aufgrund bestimmter toxischer Eigenschaften als ‚gefährlich‘ eingestuft worden sind. In der Regel werden Höchstgehalte deshalb bislang für Einzelstoffe und nicht für Stoffgruppen abgeleitet. Wenn die zulässigen Höchstgehalte für die einzelnen Wirkstoffe nicht überschritten werden, ist es praktisch ausgeschlossen, dass additive oder synergisti-sche Wirkungen von Pflanzenschutzmittelrückständen in Lebensmitteln zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Verbraucher führen.
Da die oben erwähnten tierexperimentellen Untersuchungen jedoch nur für eine vergleichs-weise geringe Zahl von chemischen Stoffen und Mischungen durchgeführt werden konnten, ist es aus wissenschaftlicher Sicht erforderlich, Konzepte für eine zielgerichtete Prüf- und Bewertungsstrategie zu entwickeln, die sowohl die toxikologischen Eigenschaften als auch die aus der vorgesehenen Anwendung zu erwartenden Kombinationen der Wirkstoffe be-rücksichtigt. Das geschieht derzeit auf europäischer Ebene durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Sie evaluiert die vorliegenden konzeptionellen Ansätze mit dem Ziel, der Bewertung des kumulativen Risikos von Rückständen aus der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln auf europäischer Ebene ein einheitliches Konzept zugrunde zu legen.
Drei Formen der kombinierten Toxizität von mehreren Wirkstoffen sind denkbar: Die Addition der einzelnen Dosen, die Addition der Wirkungen und die Wechselwirkung. Da besonders die Dosisaddition für die Risikobewertung von Bedeutung ist, hat das zuständige EFSA-Panel zunächst nur diese Wirkung berücksichtigt. Das Panel schlägt vor, die Wirkstoffe von Pflanzenschutzmitteln in „kumulative Bewertungsgruppen“ einzuordnen, die auf Merkmalen wie der chemischen Struktur des Wirkstoffes und dem Wirkmechanismus des Pflanzen-schutzmittels basieren. Derzeit wird diese Vorgehensweise erprobt.
Die Öffentlichkeit ist gegenüber Pflanzenschutzmittelrückständen in oder auf Lebensmitteln sensibilisiert: Diese werden per se als Risiko angesehen. Eine differenzierte Betrachtung, in die zum Beispiel die tatsächlich nachgewiesenen Mengen und der durchschnittliche Verzehr des Lebensmittels einfließen, ist dabei eher die Ausnahme. Das trifft umso mehr für Mehr-fachrückstände, also die Rückstände gleich mehrerer Wirkstoffe auf den Erntegütern, zu.
Der Risikobewertung liegt bislang folgendes Konzept zugrunde: Grundsätzlich gilt, dass Rückstände von Pflanzenschutzmitteln die Gesundheit der Verbraucher nicht beeinträchtigen dürfen. Darum wird für alle Wirkstoffe bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln und der Festsetzung von Höchstgehalten an Pestizidrückständen experimentell eine Dosis ermittelt, unterhalb derer keine toxische Wirkung mehr nachweisbar ist. Damit kann auch dann abge-schätzt werden, in welchem Dosisbereich diese Stoffe ohne gesundheitsschädliche Wirkung sind, wenn mehrere Stoffe gleichzeitig als Rückstände in und auf Lebensmitteln auftreten. Rückstands-Höchstgehalte werden nur so hoch festgesetzt, wie es aufgrund der Rück-standssituation der Erntegüter bei guter landwirtschaftlicher Praxis erforderlich ist: Grund-sätzlich werden sie nicht höher festgesetzt,, als es die toxikologisch begründeten Grenzwerte (Acceptable Daily Intake, ADI) und die Akute Referenzdosis (Acute Reference Dose, ARfD) erlauben. Aus diesem Grund liegen zwischen der zu erwartenden Rückstandsaufnahme der Verbraucher und den im Tierversuch ermittelten Dosen mit biologischer Wirkung in der Regel zwei- bis dreistellige Sicherheitsspannen. Damit ist es praktisch ausgeschlossen, dass addi-tive oder synergistische Wirkungen von Pflanzenschutzmittelrückständen in Lebensmitteln zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Verbraucher führen, wenn die zulässigen Höchst-gehalte für die einzelnen Wirkstoffe nicht überschritten werden.
Dieses Bewertungskonzept hat weiterhin Gültigkeit, soll aber zukünftig ergänzt werden. In der Verordnung (EG) 396/2005 über Höchstgehalte an Pestizidrückständen in oder auf Le-bens- und Futtermitteln pflanzlichen und tierischen Ursprungs heißt es dazu: „Es ist [auch] wichtig, dass weitere Arbeiten durchgeführt werden, um Methoden zur Erfassung kumulativer und synergistischer Wirkungen zu entwickeln“1.
An der Entwicklung eines auf europäischer Ebene einheitlichen Konzepts zur Bewertung des kumulativen Risikos von Rückständen aus der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln arbei-tet derzeit die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde (European Food Safety Authori-ty, EFSA) unter Beteiligung des BfR. Schon im April 2005 hatte die EFSA ein wissenschaftli-ches Gutachten zur Beurteilung der Eignung bestehender Methoden vorgelegt.
Das EFSA-Gremium für Pflanzenschutzmittel und ihre Rückstände (PPR-Panel) evaluierte die vorhandenen Methoden zur Bewertung möglicher Risiken für Verbraucher, die von der Kombination von zwei oder mehr Pestiziden ausgehen können2. Dabei werden drei mögliche Formen der kombinierten Toxizität von mehreren Wirkstoffen unterschieden: Die Dosisaddi-tion, die Wirkungsaddition und die Wechselwirkung. Wegen der speziellen Bedeutung für die Risikobewertung von Pestizidrückständen in Lebensmitteln äußerte sich das PPR-Panel aus-schließlich zur Bewertung möglicher Effekte durch Dosisaddition. Das Gremium wies darauf hin, dass toxische Wechselwirkungen von Pestizidrückständen in Lebensmitteln nicht ausge-schlossen werden können. Es gäbe jedoch keine empirischen Nachweise für das Auftreten solcher Wechselwirkungen bei den Rückstandskonzentrationen, die in Lebensmitteln nach sachgerechter Anwendung von Pflanzenschutzmitteln zu erwarten sind.
Das Panel schlägt vor, die Substanzen in so genannte „kumulative Bewertungsgruppen“ (Cu-mulative Assessment Groups, CAG) einzuordnen. Die Gruppeneinordnung sollte sich nach Basismerkmalen wie der chemische Struktur und dem Wirkungsmechanismus (als Pflanzen-schutzmittel) oder nach gemeinsamen toxikologischen Effekten richten.
Zur Bewertung des kumulativen Risikos sind folgende Methoden – mit ansteigender Komple-xität und Verfeinerung – zu nennen: Der Gefahrenindex (hazard index), der Referenzpunktin-dex (reference point index), der relative Potenzfaktor (relative potency factor) und die physio-logisch basierte pharmakokinetische Modellierung (physiologically-based pharmacokinetics modeling, PBPK).
Vom PPR-Panel wurden Szenarien für die Ermittlung der akuten und chronischen Exposition analysiert, einerseits prospektiv bezüglich der Festsetzung von Rückstands-Höchstgehalten und andererseits retrospektiv zur Ermittlung der tatsächlichen Exposition der Verbraucher (zum Beispiel auf der Basis von Monitoringdaten). Jedes Szenario wird hinsichtlich der An-wendbarkeit von deterministischen oder probabilistischen Verfahren und der jeweiligen Da-tenanforderungen bezüglich der Rückstände bewertet. Gleichzeitig wird ein Überblick über die in der EG vorhandenen Verzehrsdaten und deren Verwendung zur kumulativen Ri-sikobewertung gegeben. Die verfügbaren probabilistischen Modelle und der Einfluss von Unsicherheitsfaktoren auf die Verfahren der Risikobewertung in Bezug auf Rückstandsdaten, Verzehrsdaten und toxikologischer Bewertung werden diskutiert.
Außerdem wird eine kritische Wertung bisheriger kumulativer Risikobewertungen für be-stimmte Wirkstoffgruppen vorgenommen (in UK, DK, NL Organophosphate und Carbamate, in den USA Organophosphate, Triazine, Chloracetanilide, Carbamate).
Das PPR Panel empfiehlt, die folgenden Kriterien anzuwenden, um zu entscheiden, ob eine kumulative Risikobewertung vorzunehmen ist:
– die Häufigkeit der chemisch-analytischen Nachweise von Wirkstoffen bestimmter CAGs in Monitoring-Programmen
– Informationen aus Verkaufsstatistiken
– Evidenzen aus Biomonitoring-Untersuchungen
– CAGs, die Substanzen mit hoher Exposition in Bezug zu ihren Referenzwerten ent-halten
– unakzeptable Exposition in einem anderen Bereich (außerhalb des Pflanzenschut-zes)
– CAGs, die fünf oder mehr Substanzen aufweisen.
– Informationen aus Verkaufsstatistiken
– Evidenzen aus Biomonitoring-Untersuchungen
– CAGs, die Substanzen mit hoher Exposition in Bezug zu ihren Referenzwerten ent-halten
– unakzeptable Exposition in einem anderen Bereich (außerhalb des Pflanzenschut-zes)
– CAGs, die fünf oder mehr Substanzen aufweisen.
Sowohl für die toxikologische Bewertung als auch für die Aufnahmeabschätzung wird ein mehrstufiger Ansatz empfohlen.
Das EFSA-Gremium plant, die vorgeschlagene Vorgehensweise für die Bewertung einer Cumulative Assessment Group am Beispiel der Triazol-Fungizide zu erproben. Im Anschluss daran wird die Überprüfung und – wenn erforderlich – die Überarbeitung der vorgeschlage-nen Methodik erfolgen. Die Ergebnisse sollen im Frühjahr 2009 veröffentlicht werden.
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