Schwungmassen und Schwungscheiben
Energie und Schwungmassen und Schwungscheiben im Schwungmassenspeicher
Bei Schwungmassen- und Schwungscheibenspeichersystemen geht es um die Speicherung mechanischer Energie in Form der Rotation, sie bauen auf dem Gesetz der Erhaltung des Drehimpulses auf. Bereits in der Antike werden Räder mit großem Massenträgheitsmoment als Spinnräder oder Töpferscheiben verwendet.
Die erstmalige Nutzung der Massenträgheit in Form rotierender Massen läßt sich auf das 6. Jahrtausend v.Chr. datieren. In China und später in Mesopotamien wurden kleine Spindeln für die Herstellung von Fäden verwendet. Diese Spindeln bestanden aus einem hölzernen Stock als Achse und einer kleinen Scheibe mit zentraler Bohrung aus Stein, Holz, Metall, Ton, Glas oder Knochen, die als Schwungmasse diente. Die Spindel war dabei direkt an den zu spinnenden Fasern aufgehängt und wurde von Hand in Rotation versetzt. Eine weitere frühe Anwendung von Schwungrädern ist die Töpferscheibe. Sie kam um 4.000 v.Chr. in Verwendung, vermutlich ebenfalls in Mesopotamien. Erst 400 v.Chr. fanden sie den dann Weg nach Mitteleuropa. Später werden hier auch die modernen, über ein Trittbrett und eine Welle angetriebenen Spinnräder mit einem großen Schwungrad ausgestattet.
Überall bekannt waren auch die fahrenden Scherenschleifer, deren Schleifstein gleichzeitig ein schweres Schwungrad darstellte, das mit einem Pedalantrieb mühelos in Rotation gehalten wurde. Optiker installierten bei ihren Geräten noch ein zusätzliches Schwungrad, um die Rotationsbeständigkeit zu erhöhen.
Im Zuge der industriellen Revolution wird das Schwungrad bei Dampfmaschinen, Werkzeugantrieben und später auch bei Verbrennungsmotoren eingesetzt, primär um einen ‚runden’ und ,kräftigen’ Lauf zu garantieren.
Gesenkschmiede
Vermutlich erstmals als reiner Energiespeicher ist das Stahlschwungrad von John A. Howell von 1884 ausgelegt. Bei einer Masse von 160 kg und einer maximalen Drehzahl von 21.000 min-1 speichert es genug Energie, um einen Torpedo bei einer Geschwindigkeit von 55 km/h etwa 1,5 km weit durch das Wasser zu bewegen. Und 1911 wird ein 44 t schweres Schwungrad mit einem Speicherinhalt von 34 kWh an einer elektrifizierten Bergeisenbahnstrecke in Italien installiert.
In den zwanziger Jahren verwendet man dann Motorgeneratoren mit großen Schwungrädern, die Ilgner-Umformer, zum Abfangen von Lastspitzen in Walzwerken und bei Fördermaschinen. 1924 liefert die AEG einen Ilgner-Umformer, dessen Schwungrad einen Durchmesser von 4 m und eine Breite von 1 m hat. Bei 750 min-1 speichert es rund 166 kWh. Und bereits 1931 wird in Kursk in der ehemaligen Sowjetunion eine Schwungradenergiespeicheranlage in Verbindung mit einer Windkraftanlage betrieben.
Nicht unerwähnt bleiben soll die Verwendung des Schwungrades bei Spielzeugen wie zum Beispiel Kreisel, Jo-Jo und Diabolo. Auch Spielzeugautos werden häufig mit Schwungradenergiespeichern angetrieben.
Im folgenden sind nun verschiedene Anwendungsbereiche aufgeführt, um einen Einblick in das aktuelle Nutzungsspektrum vom Schwungmassen-Energiespeichern zu geben.
Mechanische Energiespeicherung
Eine sehr fortschrittliche Anwendung ist das 1988 an der University of Ottawa entwickelte Schwungradsystem zur Speicherung von photovoltaisch erzeugtem Strom zum Betrieb von Signaleinrichtungen im Küstenschutz. Das Schwungrad besteht aus einer Aluminiumnabe und einer Schwungmasse aus glasfaser- und kohlefaserverstärktem Kunststoff und wiegt 186 kg. Der Energieinhalt beträgt bei 23.000 min-1 rund 8,5 kWh.
Am Rutherford Appleton Laboratory in Großbritannien wird der Einsatz von Schwungradenergiespeichern in Verbindung mit dem Inselbetrieb von Windenergieanlagen. Dabei werden in einer Versuchsanlage eine Windkraftanlage mit einer Nennleistung von 45 kW, ein Dieselgenerator und ein Schwungradenergiespeicher zusammen betrieben. Das Schwungrad überbrückt Windlöcher im Minutenbereich und vermeidet dadurch häufige Starts des Dieselgenerators. Durch die kurzen Schaltzeiten des Schwungradspeichers, die im Millisekundenbereich liegen, werden zudem Leistungsfluktuationen aufgrund von Windböen vermindert.
Die University of Maryland in den USA beschäftigt sich seit den siebziger Jahren mit Schwungrädern aus Faserverbundkunststoffen. 1992 wird hier ein Prototyp einer Schwungradspeicheranlage für den Einsatz in einem Satelliten entwickelt, der sich in einer erdnahen Umlaufbahn befindet. Während des 60-minütigen Intervalls, in dem der Satellit auf der sonnenzugewandten Seite der Erde fliegt, wird das Schwungrad mit Solarstrom aufgeladen und versorgt während der 30-minütigen Dunkelheitsphase die Bordgeräte mit Strom.
Ebenso seit den siebziger Jahren betreibt auch das Lawrence Livermoore Laboratory in den USA Schwungradforschung. 1995 beginnt man hier mit der Entwicklung einer ‚Electromechanical Battery’ die aus ineinandergeschobenen Hohlzylindern besteht, die durch elastische Separatoren voneinander getrennt sind.
mit Optischem Sensor
Stabilisierung von Satelliten
A. Studer entwickelt für die NASA bereits 1972 magnetisch gelagerte Schwungräder zur Stabilisierung von Satelliten. Parallele Entwicklungen ab 1981 von Alan A. Robinson bei der ESA führen zu den ersten magnetisch gelagerten Schwungrädern im Weltraum auf dem französischen SPOT Satelliten 1986.
Die Tatsache, daß es in der Satellitenbranche keine magnetisch gelagerten Schwungräder für Kleinsatelliten gibt, führt ab Oktober 1994 zur Entwicklung eines entsprechenden Testmodells und drei Flugversionen durch die Universität Marburg und die TH Darmstadt.
Gegenwärtig bieten weltweit drei verschiedene Hersteller magnetisch gelagerte Schwungräder an, allerdings nur für wesentlich größere, meist geostationäre Plattformen.
Überbrückungsspeicher für elektrische Energie
Als Überbrückungsspeicher für kurzzeitige Stromausfälle werden bislang fast ausschließlich Akkumulatoren oder Notstromaggregate eingesetzt, um eine ununterbrochene Stromversorgung zu garantieren (UPS, Uninterrupted Power Supply).
Eine Alternative hierzu bilden Schwungradspeicher, wie sie z.B. das US-Unternehmen Active Power Inc. in Austin, Texas, ab 1996 unter dem Label CleanSource in einer inzwischen sehr breiten Palette zwischen 100 kW und 2 MW anbietet. Die Speicher haben leise und reibungsarm gelagerte Schwungscheiben aus Stahl und integrierte Motor-Generator-Systeme, ihr Wirkungsgrad soll 99 % betragen. Das Unternehmen arbeitet u.a. mit Caterpillar zusammen, um auf den weltweiten Markt zu kommen.
Einsatzgebiete sind neben den Netzausfällen auch das ‚power quality – local tuning’, also die Kompensation von Spannungsschwankungen, Oberschwingungen oder Unsymmetrien im Drehsstromsystem, sowie der Ausgleich von schwachen Netzen oder fluktuierender dezentraler Energieerzeugung ohne aufwendige Netzverstärkung.
Auch die amerikanische Pentadyne Power Corp. in Chatsworth, Kalifornien, arbeitet an kompakten Schwungrädern (aktive Magnetlagerung, 0,67 kW/h = 120 kW x 20 sec). Das Unternehmen stellt 1997 nach 5 Jahren Entwicklungszeit und einer Investition von 24 Mio. $ ein Schwungrad-betriebenes Fahrzeug vor. Ab 2001 wird die Technologie dann für den Einsatz zur Netzstabilisierung weiterentwickelt, die Feldtest erfolgen 2003. Ein Jahr darauf wird das erste Produkt vorgestellt: Die VSSdc+ Einheit kann für 5 Sekunden 220 kW, für 12,5 Sekunden 190 kW, für 15 Sekunden 170 kW, für 22,5 Sekunden 120 kW, oder für 45 Sekunden 60 kW liefern. Für größere Bedarfsmengen oder längere Zeiten lassen sich die Einheiten zusammenschalten. Der Vertrieb erfolgt unter dem Label ‚Liebert FS’ über das gleichnamige weltweit agierende Distributionsunternehmen.
In den USA startet 2002 ferner ein DOE-gefördertes Projekt, bei dem ein Konsortium um Boeing ein 35 kWh Aggregat realisieren soll, das mit einer supraleitender Magnetlagerung ausgestattet ist und über mehrere Minuten 100 kW Leistung liefern kann.
Auch in Japan werden Schwungräder der Leistungsklasse 0,5 bis 1 kWh entwickelt, und auch diese sind mit supraleitender Magnetlagerung ausgerüstet.
Von der Firma Aerospatiale werden serienreife Schwungradspeicheranlagen für geregelte Notstromversorgungen von Fernmeldeeinrichtungen, Krankenhäusern und kerntechnischen Anlagen angeboten. Eines dieser Modelle mit einem 350 kg schweren Rotor aus Faserverbundkunststoff speichert 1 kWh und ist vollmagnetisch gelagert.
Und bereits 1994 geben Wissenschaftler am amerikanischen Argonne National Laboratory in Illinois bekannt, daß sie für die Stromspeicherung ein nahezu reibungsfreies Lager entwickelt haben, das aus einem Dauermagneten besteht, der über dem magnetischen Feld eines Supraleiters schwebt. Der Reibungskoeffizient hat einen Wert von 0,0000009 – einige tausendmal niedriger als der der reibungsärmsten Kugellagern.
Die Beacon Power Corporation in Wilmington, Massachusetts entwickelt ein weiteres Schwungrad-Energiespeichersystem, wobei der Schwerpunkt hier mehr bei der Stabilisierung des Stromnetzes insgesamt liegt. Es werden Schwungscheiben aus Fiberglas und Karbonfasern eingesetzt, die mit 22.500 Umdrehungen pro Minute rotieren.
Im August 2006 beginnt am Forschungszentrum der Pacific Gas and Electric in San Ramon ein 4-monatiger Versuchslauf mit sieben 6 kWh Schwungscheibenspeicher, jeder von der Größe eines kleinen Kühlschranks, die innerhalb von 15 Minuten gemeinsam 100 kW Strom laden bzw. abgeben können. Der Test wird vom U.S. Department of Energy (DOE) mitfinanziert. Für größere Anlagen entwickelt Beacon Power ein 25 kW Schwungrad, das zu Clustern in Größen von 1 MW bis 20 MW zusammengeschaltet werden kann. Das Unternehmen geht davon aus, daß eine in Schwungscheiben gespeicherte Strommenge von 100 MW ausreichen würde, um mit 90 % aller Spannungsschwankungen innerhalb des kalifornischen Stromnetzes fertig zu werden. Eine Speicheranlage mit 1 MW soll etwa 1,5 Mio. $ kosten.
In Deutschland startet mit der Förderung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) im Jahr 2000 ein Leitprojekt unter dem Namen DYNASTORE, bei dem ein Konsortium aus Industrie, Energiewirtschaft und Forschung einen energieeffizienten Schwungmassenspeicher der neuen Generation entwickeln soll.
Die 450 kg schwere Scheibe mit einer Kapazität von 11 kW/h verfügt über eine Supraleiter-Magnetlagerung, die an der TU-Braunschweig entwickelt worden ist, dreht im Vakuum und soll binnen 20 Millisekunden für bis zu 20 Sekunden 2 MW Leistung abgeben können. Bei gleichzeitig reduziertem Wartungsaufwand will man die Lebensdauer mit der Zeit auf 20 Jahre erhöhen und die Stand-by-Verluste (hier hauptsächlich zur Kühlung der Supraleiter) um den Faktor 10 reduzieren. Die Förderung beträgt 4 Mio. Euro – die andere Hälfte der Kosten trägt die Industrie.
Tatsächlich wird 2006 von der federführenden RWE-Piller GmbH ein komplett integriertes DYNASTORE-Speichermodul in Containergröße vorgestellt. Geplante Anwendung: DYNASTORE soll in Zukunft zahlreiche Diesel-Notstromgeneratoren überflüssig machen, denn die meisten Stromausfälle dauern nur wenige Sekunden.
Speicher für Spitzenbedarfszeiten
Dieser Vorschlag kommt ursprünglich von Richard und Stephen Post. Es handelt sich um einzelne Speichereinheiten mit Kapazitäten zwischen 10 und 20 MW bei Radgrößen von 4 – 5 m, einem Gewicht von 100 – 200 t und einer Drehzahl von 3500 U/min.
Die möglichst unterirdisch zu installierenden Radgehäuse haben die Maße von 7 x 7 m. Das System bildet eine sehr gute Möglichkeit zur dezentralen Speicherung von lokal benötigter Spitzenzeitenergie. Die Lagerung der Schwungradspeicher kann eventuell sogar magnetisch erfolgen. Als Radmaterial werden faserverstärkte Kunststoffe bevorzugt.
Heute sind schon mehrere Hundert Schwungmassenspeicher im Einsatz. Sie haben meist konventionelle, automatisch geschmierte Lager sowie Schwungräder aus Stahl. Entsprechend gering sind die Drehzahlen (2.000 – 3.000 U/min) und Energiedichten (ca. 3 kWs/kg). Damit werden Überbrückungszeiten von ungefähr 10 Sekunden erreicht. Die Leerlaufverluste machen ungefähr ein Prozent der Spitzenleistung aus, d.h. für 1 MW müssen permanent 10 kW investiert werden (Stand 2003).
Speicher zur Erzeugung kurzzeitig extrem hoher Stromstöße
Das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching bei München und die CERN bei Genf betreiben 1974 im Rahmen ihrer Plasmaforschung Speicherräder zur Erzeugung kurzzeitig extrem hoher Stromstöße für Fusionsexperimente. Die für diese Versuche benötigten Strommengen sind so groß, daß das öffentliche Stromnetz damit nicht belastet werden kann, ohne daß es sofort zusammenbrechen würde.
Das Schwungrad in Garching besteht aus vier geschmiedeten Stahlscheiben konstanter Dicke, die auf eine gemeinsame Welle aufgezogen sind und wiegt 223 t. Während der 6-minütigen Aufladezeit erreicht es eine Umdrehungszahl von 1.650 U/min.
Seine Nutzenergie von 1.450 MW/s (= 400 kW/h) kann ihm innerhalb von 10 Sekunden entnommen werden, womit eine sofortige Leistungsspitze von 155 MW für einen Zeitraum von 10-15 s zur Verfügung steht. Während der Energieentnahme sinkt die Drehzahl dabei auf 1.275 U/min. Aufgrund der kurzen Laufzeit und des vorherbestimmten Einsatzzeitpunktes der Anlage wird auf eine evakuierte Atmosphäre verzichtet, was allerdings zu Luftreibungsverlusten von 650 kW führt.
Die Übersicht geht weiter mit dem Einsatz von Schwungmassen als Speicher für mechanische Energie im Nahverkehr.