Wettlauf um Energieprojekte in der Arktis
Energie: Behörden gewähren mehr Unterstützung
Wettlauf um Energieprojekte in der Arktis (aus VDI Nachrichten)
VDI nachrichten, Düsseldorf, 18. 1. 08, mg – Der Ansturm auf die Energievorräte im nördlichen Polarmeer beschleunigt sich. Angetrieben von eskalierenden Ölpreisen, verbesserter Bohrtechnologie und der beginnenden Erschöpfung traditioneller Vorkommen wenden sich Öl- und Gaskonzerne verstärkt der Arktis zu. Hier vermuten US-Geologen bis zu ein Viertel der weltweit unentdeckten Öl- und Gasvorkommen.
Die Energiefirmen treffen bei ihren verstärkten Bemühungen um neue Energiequellen im hohen Norden auf Regierungen und Behörden, die neuerdings mehr Unterstützung gewähren und bereitwilliger Lizenzen ausstellen. Hintergrund ist der verschärfte Wettbewerb um Souveränitätsansprüche in der Region rund um den Nordpol.
Die aufsehenerregende Flaggenparade eines russischen U-Boots auf dem Grund des Polarmeers im vergangenen Sommer hat in den Anrainerstaaten – USA, Kanada, Dänemark, Norwegen und Russland – fieberhafte Aktivitäten ausgelöst, darunter Pläne für den Bau von Tiefseehäfen und die Errichtung von Militäranlagen. Dabei zeigt sich: Die Erschließung von Energiequellen im eisigen Norden dient nicht mehr allein der Deckung des rasant wachsenden globalen Bedarfs, sie hilft auch, territoriale Ansprüche zu unterstreichen.
Jüngstes Beispiel ist die Ankündigung des Minerals Management Service (MMS) in den USA, eine Abteilung des Innenministeriums, die für den 6. Februar den Verkauf von Bohrrechten in einem 118 000 km2 großen Gebiet in der Chukchi-See rund 80 km vor der Nordwestküste Alaskas angekündigt hat. Umweltgruppen laufen Sturm, weil sie den ersten derartigen Lizenzverkauf in der Chukchi-See seit 1991 für übereilt halten. Sie werfen der MMS vor, die Folgen des Abbaus von Öl und Gas auf Polarbären, Walrosse und Wale nicht detailliert geprüft zu haben.
Selbst der US-Senator John Kerry, ein Demokrat aus Massachusetts, fordert den MMS auf, mindestens drei Jahre zu warten und die Folgen einer Öl- und Gasproduktion in der Region zu studieren. "Der MMS muss vor dem Lizenzverkauf ausreichende Daten sammeln", kritisiert Pamela A. Miller, die arktische Koordinatorin am Northern Alaska Environmental Center, "die MMS hat diese Daten einfach nicht."
Die Behörde vermutet in der Chukchi-See 15 Mrd. Barrel Öl und 2,1 Billionen m3 konventionell förderbares Naturgas, genug um 30 Jahre lang 25 Mio. Pkw zu fahren und 46 Mio. Einfamilienhäuser zu heizen. Richard Ranger, Berater am American Petroleum Institute in Washington – einer Industrievereinigung – bezeichnet dies als "strategisch wichtiges Vorkommen".
Selbst in die Jahrzehnte verzögerte Alaska-Pipeline, die Naturgas aus der Prudhoe-Bucht bis in den Nordosten der USA befördern soll, kommt plötzlich wieder Bewegung. Alaska verabschiedete im vergangenen Jahr den Alaska Gasline Inducement Act, der das 26-Mrd.-$-Projekt beschleunigen soll. Bis zum Abgabetermin am 30. November reichten fünf Konzerne ihre Bewerbungen dafür ein.
Die Gouverneurin von Alaska, Sarah Palin, brauchte nur vier Wochen, um Anfang Januar zu verkünden, sie favorisiere die Bewerbung von Kanadas größtem Pipelinebauer, der TransCanada Corp. Jetzt hat die Öffentlichkeit Gelegenheit, sich in Anhörungen zu dem Projekt zu äußern, dann will Palin umgehend eine Empfehlung an das Parlament von Alaska aussprechen. Die Vorbereitung der Bautätigkeit könnte schon im zweiten Quartal 2008 beginnen. Ab 2017 würde die Riesenröhre dann täglich mindestens 127 Mio. m3 Erdgas an US-Haushalte liefern.
Von willigeren Behörden und kürzeren Genehmigungszeiten berichten in jüngster Zeit auch kanadische Bergbaufirmen. Die Baffinland Iron Mines Corp. ist ein Beispiel. Das junge Unternehmen will für umgerechnet 1,4 Mrd. € am nördlichen Zipfel von Baffin Island – dem Eingang in die Nordwestpassage – die Mary River-Eisenerzmine in Betrieb nehmen. Baffinland plant hierfür einen Tiefseehafen und eine Eisenbahnverbindung.
"Es gibt zwei Gebiete, wo wir jetzt viel mehr Bewegung sehen als vorher", berichtet Baffinland-Präsident Gordon McCreary, "das sind die Kapitalmärkte und die Politik." McCreary will ab 2012 in der Mary-River-Mine Eisenerz fördern und freut sich, dass seine Pläne sich nun leichter realisieren lassen. "Dieses Projekt passt immer besser in die Agenda der Bundesregierung in Ottawa", sagt er, "ganz egal mit welcher Partei Sie reden."
Das sehen auch Analysten, die die Minenkonzerne beobachten, so. "Da tun sich erfreuliche Perspektiven für Hilfe von staatlicher Seite auf, wegen des Gerangels um den Nordpol", sagt Tom Meyer bei Raymond James. Das Unternehmen betreute Baffinland bei seinem Börsengang vor einem Jahr.
MARKUS GÄRTNER